Station 02 – Dresdner Straße 20: Das Pantheon
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An dieser Stelle, an der wir nun nicht mehr sehr viel sehen, eigentlich vor allem diesen Findling, den SPD-Politiker hier 2013 aufstellten, befand sich bis 1933 bzw. 1970 der Saal bzw. das Vorderhaus des Pantheon. Dieses Gebäude war ein Tanzlokal mit Ballsaal, heute würde man sagen eine Event Location. Dieses Gebäude hatte es in sich, bzw. es hatte viele Ereignisse in sich, die bis heute ihre Strahlkraft sicherlich nicht eingebüsst hat. (Deshalb ist es so verwunderlich, warum dieses Gebäude in der DDR abgerissen wurde.)
Bevor wir zu einem bekannten Ereignis kommen, welches für die Arbeiter*innenbewegung wichtig war und das sich ebenfalls hier abspielte, wollen wir noch kurz auf ein anderes Ereignis eingehen, das sich hier zuvor abspielte: 1848 wurde im Pantheon, welches damals noch Colloseum hieß, der “Verein der Dienstmädchen” von Auguste Schmidt gegründet . Sie gründete 1865 zusammen mit Louise Otto-Peters den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF). Dieser war vor allem ein Zusammenschluss verschiedener lokaler Frauen- und Mädchenbildungsvereine. Auguste Schmidt, Louise Otto-Peters und Henriette Goldschmidt hatten im selben Jahr (1865) auch schon den Leipziger Frauenbildungsverein gegründet, der eine ähnliche Zielsetzung hatte, wie die Arbeiterbildungsvereine: Durch Bildung und Vereinsleben (empowerment) sollten Mädchen und Frauen sowohl die notwendige Allgemeinbildung, als auch das politische Bewusstsein mitnehmen, welches sie für die selbstbewusste Verbesserung ihres Lebens benötigen. Es gab zu dieser Zeit also bereits einen fruchtbaren Austausch zwischen Frauen- und Arbeiterbewegung.
Ein entscheidendes Ereignis für die deutsche Arbeiter*innenbewegung spielte sich dann 1865 hier ab: Die Zigarrenarbeiter gründeten hier die erste Gewerkschaft, den “Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter Verein” (ADCV). Die Zigarrenarbeiter waren ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine junge und selbstbewusste Arbeiterschaft: Da es ein junger Wirtschaftszweig war, galten keine Zunftbeschränkungen. Es war auch ein relativ einfach zu erlernendes Handwerk. Sie waren dafür berüchtigt, dass sie oftmals bunt angezogen und trinkfest waren und häufiger laut wurden/sich prügelten. Kurz: sehr antibürgerlich auftretend. Zu diesem Habitus, der sicherlich für die Frage der Organisation dieser Gruppe günstig war, kam eine massive wirtschaftliche Verschlechterung: Zu dieser Zeit verordneten die Fabrikbesitzer immer öfter Heimarbeit. D.h. dass die Arbeiter*innen zu dieser Zeit Tabak und sonstige Arbeitsmittel mit nach Hause nehmen und dort die Arbeit leisten mussten. Das große Problem dabei war, dass die Arbeiter*innen dafür nur für die Stückzahl bezahlt wurden, nicht für die Arbeitszeit. Dies führte zur allgemeinen Verelendigung der Arbeiterschaft. Gegen diese, aber auch andere Missstände wollten die Tabakarbeiter angehen und bildeten deshalb hier eine Gewerkschaft. Zu diesem damaligen Zeitpunkt war die Arbeiterbewegung aber noch keine Arbeiter*innenbewegung: Der Umstand, dass in den Tabakfabriken “Lohndumping” durch den Einsatz von Frauen und Kindern herrschte, führte bei der Gewerkschaft dazu, dass diese nicht auch bessere Bezahlung für Frauen forderten, sondern den Ausschluss der Frauen aus der Fabrikarbeit. Es brauchte einige Jahre der kontroversen Auseinandersetzungen insbesondere mit engagierten Frauen, bis die noch jungen Gewerkschaften auch für die Arbeitsrechte von Frauen kämpfen sollten.
Die Gründung des “Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter Verein” wurde maßgeblich durch Friedrich Wilhelm Fritzsche vorangetrieben: Fritzsche war selbst als junger Mann an der Märzrevolution 1848 in Dresden beteiligt, bei welchen für das Ende der feudalistischen Kleinstaaterei und für eine demokratische Verfassung gekämpft wurde. Er kämpfte 1848 auf den Barrikaden und entkam nur knapp den preußischen Soldaten. Auch ein bereits gefälltes Todesurteil konnte er nur kanpp überleben. Er lebte 30 Jahre in Leipzig im “Wilden Viertel”. Dies war das Arbeiter*innenviertel im damaligen Leipzig, das sich im Bereich der heutigen Kolonadenstraße befand. Neben der Gründung des Allgemeinen deutschen Cigarrenarbeiterverbandes war er maßgeblich bei beteiligt am Verein Vorwärts und der Gründung des ADAV und dann SDAP in Gotha. Von Sozialistengesetzen wurde er persönlich hart getroffen und wanderte – wie viele deutsche demokratische/sozialistische Arbeiter_innen – in die USA aus und starb dort. Heute erinnert ein Gedenkstein am Maitre (Karl Liebknecht Straße) an ihn.
Zwei Jahre vor den Zigarrenarbeitern gründete sich im Pantheon auf Betreiben des Vereins Vorwärts (vgl. Hotel de Saxe) der Allgemeine Deutsche Arbeiter Verein (ADAV). Dies war der sogenannte lassalianische Flügel der Arbeiterbewegung, welcher sich 1875 in Gotha mit der SDAP von August Bebel und Wilhelm Liebknecht (Eisenacher) zur unmittelbaren Vorgängerpartei der SPD vereinigen sollte. Doch zum ADAV: Dieser war die erste Massenorganisation der Arbeiterbewegung und war noch ganz auf Lassalle und dessen Weltsicht ausgerichtet. Dieser hatte nämlich die heute etwas verqueert wirkende These, dass sich an dem elenden Lebensbedingungen der Arbeiter eh nichts ändern könne (sogenanntes „ehernes Lohngesetz“) und wollte deshalb staatliche Produktionsgenossenschaften gründen. Um dies zu tun, mussten die Arbeiter sich in den demokratischen Gremien der Staates etablieren. Es handelte sich somit um einen Staatsfetisch, der ganz auf Preußen ausgerichtet war, Lassalle stellte als Hegel nicht vom Kopf auf die Füße, so wie Marx dies tat. Lassalle starb allerdings bereits 1864 in einem Duell und seine Ideen fanden nach seinem Tod kaum noch Anhänger.
1899 geschah hier auch die Gründung des Cartellverbandes der Leipziger Gewerkschaften. Die Notwendigkeit einer Umbrella Organisation aller Gewerkschaften war offensichtlich geworden, Vorgänger des ADGB in der Weimarer Republik und des DGB in der Bundesrepublik.
Adrian Weiss