Station 01 – Nürnberger Straße 12: Station Giesecke & Devrient (Wertpapierdruckerei)

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Verlage und Druckereien haben wesentlich Leipzigs Entwicklung mit geprägt

Im Graphischen Viertel, östlich des Innenstadtrings gelegen. konzentrierten sich die für Leipzigs Entwicklung mit prägenden Verlage und ihre Druckereien. Ein alter Stammsitz eines traditionsreichen Druckunternehmens ist das von Giesecke & Devrient. Von der Nürnberger Straße aus schaut man auf das Verwaltungsgebäude der Firma, das von einigen Veränderungen am Giebel und an der Fassade abgesehen identisch mit dem 1858 errichteten Gebäude ist. Die dahinter liegende Druckerei wurde nach Kriegszerstörungen und wegen technischer Modernisierungen wiederholt erneuert bzw. neu errichtet. Der 1852 von Hermann Giesecke und Alphonse Devrient als Typographisches Kunst – Institut gegründete Betrieb erhielt 1854 den ersten Auftrag für den Druck von Geldnoten. Im Verlauf des nächsten Vierteljahrhunderts folgten Aufträge für den Druck von Geldnoten und Wertpapieren von mehreren deutschen Staaten, aber auch aus der Schweiz, Südamerika und Thailand.

 

Drucker und Schriftsetzer legen Grundstein für reichsweite Kämpfe

Arbeiter dieses Betriebs waren an entscheidenden Ereignissen für die Herausbildung und Entwicklung der Gewerkschaften beteiligt. Ab Januar 1863 wurde in Leipzig der „Correspondent – Wochenschrift für Deutschlands Buchdrucker und Schriftgießer“ vom Fortbildungsverein für Buchdrucker und Schriftgießer herausgegeben, über den der Austausch über die Arbeits- und Lebensbedingungen – nur wenige wurden älter als 40 Jahre ! – dieser Berufsgruppe, ihre Forderungen und Kämpfe organisiert wurde. Der Kampf um höhere Löhne, geregelte Arbeitszeiten (es wurde im Schnitt noch 12 bis 14 Stunden täglich gearbeitet), die Einrichtung von Kranken-, Invalidenund Reiseunterstützungskassen (für die wandernden Gesellen) , aber auch gegen die Ausbeutung und Drangsalierung von Lehrlingen waren ständige Themen. Lohnkämpfe, Streiks gab es auf lokaler Ebene mindestens seit den 1830er Jahren.

Der „Drei – Groschen – Streik“

Vor diesem Hintergrund kam es in Leipzig vom 27. März bis zum 10.Juni 1865 zum „Drei – Groschen – Streik“, an dem sich mehr als 600 der 800 Leipziger Buchdrucker- und Schriftsetzergehilfen beteiligten. Er begann in der Druckerei des Musikverlags Breitkopf & Härtel und dehnte sich rasch aus. Die Belegschaft von Giesecke & Devrient nahm aktiv an diesen wie auch den folgenden Auseinandersetzungen teil. Die Streikenden forderten den Lohn, der bereits in Berlin gezahlt wurde. Die Prinzipale (= Druckereibesitzer) reagierten mit Aussperrung und dem Einsatz von Streikbrechern, z.B. aus Böhmen, aber auch von Frauen und Kindern für bestimmte Arbeiten. Mit Spenden unterstützten Berufskollegen aus vielen deutschen und europäischen Städten, aber auch aus anderen Branchen – nach einem Aufruf der Internationalen Arbeiter-Assoziation (der I. Internationale) den Streik, der mit einer deutlichen Lohnerhöhung endete. Vor allem war sein Ergebnis aber die Erfahrung der eigenen organisierten Kraft. 1869 hatten die Buchdruckereibesitzer (Prinzipale) ihren Verband gegründet. Damit wurden künftige Lohnauseinandersetzungen auf eine andere Ebene gehoben.

Ein erster „Flächentarifvertrag“ wird erkämpft

1873 kam es an mehreren Orten in Deutschland zu Streiks, so auch in Leipzig, die mehr als 14 Wochen dauerten. Die Unternehmer verpflichteten über ihren Verband alle Prinzipale, im ganzen Reich, die Mitglieder der Buchdruckergewerkschaft auszusperren. Die Mitglieder der Leipziger Tarifkommission mit ihrem Vorsitzenden Richard Härtel an der Spitze wurden zu 14tägiger Haft verurteilt, Gesellen, die nicht aus Sachsen stammten, wurden des Landes verwiesen. Und wieder wurden Streikbrecher eingesetzt – so auch hier bei Giesecke & Devrient wie der „Correspondent“ berichtete. Vom 1. bis 5. Mai kam es dann in Tarifverhandlungen zu einem Abschluss: Es wurde der erste reichsweit geltende Tarifvertrag für diese Branche durchgesetzt. Er regelte die Lohnsätze für bestimmte Tätigkeiten, legte einen garantiert Mindestwochenlohn (ein „gewisses Geld“) fest, der Zehnstundentag als Regelarbeitstag wurde vereinbart sowie Zuschläge für Überstunden und für Arbeit in den Abendstunden und für die Arbeit an Sonntagen und Feiertagen. Diese Mindestbedingungen sollten allgemein Gültigkeit haben, zugleich sollten „etwaige Lohnzuschläge durch die Ortsvereine“ in einzelnen Städten verhandelt werden können. Dieser erste „Flächentarifvertrag“ war ein historischer Durchbruch für die Facharbeiter dieser Branche. Es sollte allerdings noch einige Jahrzehnte dauern bis die Frauen, die als Hilfsarbeiterinnen in den Druckereien schufteten, einen Tarifvertrag erkämpften. Leipzigs organisierte Buchdrucker und Schriftsetzer setzten ihrem führenden Kopf, Richard Härtel, 1905 auf dem Südfriedhof ein Denkmal, das die Nazis später zerstörten.

Bernhard Krabiell