Station 11 – Ratzelstraße/ Nikolai-Rumjanzew-Straße: Das Denkmal für das Internationale Antifaschistische Komitee
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Am 12. April 1945 wurden 52 Häftlinge aus dem Polizeigefängnis im Leipziger Norden erschossen und in einem Bombentrichter notdürftig verscharrt – eine Exekution von Zwangsarbeiter*innen. Die deutschen Sicherheitsbehörden sahen die vielen Zwangsarbeiter*innen im Deutschen Reich als Bedrohung und Sicherheitsrisiko an und verbreiteten regelmäßig Angst in der deutschen Bevölkerung. Als größte Gefahr galten Aufstände und Sabotage von sowjetischen Kriegsgefangenen und sogenannte Ostarbeiter*innen, weil diese vom ideologischen Feind ausgingen. Es gab außerdem Angst vor einer Zusammenarbeit von sowjetischen und deutschen Kommunist*innen. Diese Angst führte am Ende des Krieges zu Massenexekutionen von Zwangsarbeiter*innen durch die Leipziger Gestapo – wie auch am benannten 12. April 1945.
Widerstand gegen Zwangsarbeit hat es viel gegeben. Anfangs vor allem von Ostarbeiter*innen, weil diese die schlechtesten Lebensbedingungen hatten. Sie wehrten sich gegen Ungerechtigkeiten bei der Arbeit, Unterbringung, Lohn und Freizeit. Aber mit wenig Erfolg.
Lange Zeit schien die Situation im Deutschen Reich aussichtslos. Erst um die Jahreswende 1942/43 kam mit den Luftanschlägen der Alliierten und den ersten Erfolgen der Roten Armee Hoffnung auf. Die Welt sah den Verbrechen der Nationalsozialist*innen nicht mehr tatenlos zu und der Krieg könnte irgendwann vorbei sein.
Zwangsarbeiter*innen organisierten sich besser und bildeten bald Widerstandsgruppen in 38 Städten. Sie umfassten mehrere tausend Mitglieder. Wobei Verbindungen zwischen deutschen und sowjetischen Widerstandsgruppen eine Ausnahme waren.
Eine dieser Ausnahmen gab es in Leipzig. 1943 gründete sich das Internationale Antifaschistische Komitee. Es bestand aus so genannten Ostarbeiter*innen und sowjetischen Kriegsgefangenen und deutschen Kommunist*innen. Die Größe der Gruppe ist nicht klar. Nach Gestapo Berichten zählten 45 Leute dazu, 12 davon waren Deutsche. Allerdings wurden dem Internationalen Antifaschistischen Komitee später bis zu 300 Mitstreiter*innen zugeordnet.
Gegründet wurde das Antifaschistische Komitee durch Karl Iljitsch Hauke. Seine kommunistischen Eltern Maximilian und Elsa erzogen ihn mit kommunistischen Werten und brachten ihm Russisch bei. Als er eines Tages Sägespäne holte, lernte er zwei sowjetische Zwangsarbeiter kennen, die Kommunisten Nikolai Rumjanzew und Boris Losinski, die im Lager der Mitteldeutschen Motorenwerke in Taucha untergebracht waren. Schnell wurde klar, dass es eine gemeinsame politische Einstellung gab. Er stellte sie seinen Eltern vor, die nach einiger Zeit den Plan schmiedeten, in Leipzig eine antifaschistische Organisation aufzubauen.
Die junge Ukrainerin Taissija Tonkonog gehörte ebenfalls zu der Gruppe. In der Sowjetunion war sie Mitglied des Komsomol, dem kommunistischen Jugendverband der Sowjetunion, gewesen. Sie arbeitete als Dolmetscherin im Lager der Karl Krause Maschinenfabrik. Als Dolmetscherin hatte sie bessere Lebensbedingungen als die übrigen Ostarbeiter*innen und war nicht im Lager, sondern hier an dieser Kreuzung, in der Güldenen Aue untergebracht. In welchem Gebäude genau ist nicht überliefert.
Sie war eine der ersten, die in die illegale Arbeit einbezogen wurde. In der Firma Karl Krause sollte sie im Auftrag der Gruppe Verbindung zum dortigen Lagerführer Rieger aufnehmen, um die Gruppe mit Informationen zu versorgen.
Der Name Internationales Antifaschistisches Komitee geht auf die drei sowjetischen Zwangsarbeiter*innen, Nikolai Rumjanzew, Boris Losinski und Taissija Tonkonog zurück.
In der Gartenlaube der Familie Hauke in Kleinzschocher hörte die Widerstandsgruppe sowjetische Radiosender, um den Kriegsverlauf zu verfolgen. Sie verfasste acht Flugblätter, in denen über den Krieg berichtet wurde und rief zur Gruppenbildung und zum bewaffneten Aufstand auf. Innerhalb kurzer Zeit baute sie Verbindungen zu 60 bis 70 Lagern in und um Leipzig auf, die regelmäßig mit Flugblättern versorgt wurden.
Weiter kam das Internationale Antifaschistische Komitee jedoch nicht, weil Nikolai Rumjanzew am 31. Mai 1944 in einem Lager mit Flugblättern erwischt wurde. Er wurde direkt der Gestapo übergeben, verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Einige Informationen über das Komitee stammen aus den Verhörprotokollen der Gestapo.
Daraufhin wurde Taissija Tonkonog am 11. Juni 1944 verhaftet und drei Tage danach Boris Losinski. Alle wurden in den Verhören gefoltert und misshandelt. In den folgenden Tagen und Wochen wurden weitere Verdächtige verhaftet, die dem Komitee zugerechnet wurden.
Schließlich wurden 48 sowjetische Zwangsarbeiter*innen ohne Prozess auf Befehl von Heinrich Himmler nach Auschwitz deportiert. Im August 1944 fanden zwei Transporte statt, bei denen Nikolai Rumjanzew und Taissija Tonkonog umgebracht worden sein sollen.
Den zwölf deutschen Mitgliedern wurde Ende 1944 der Prozess vor dem Volksgerichtshof in Dresden gemacht. Elsa Hauke wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Vier Männer bekamen Todesurteile, die jedoch durch die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 verhindert wurden. Die Inhaftierten konnten fliehen und verbrachten die Zeit bis zum Ende des Krieges im Untergrund.
In der DDR wurde dem Internationalen Antifaschistischen Komitee ein Denkmal erbaut. Der Widerstand von Kommunist*innen wurde in der DDR im Gegensatz zur BRD wertgeschätzt, allerdings auch zu Propagandazwecken genutzt. Beispielsweise wurde eine Kontinuität vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus bis hin zur Gründung der SED geschaffen, die in dieser Form nicht existiert hat. Und eine internationale Zusammenarbeit von Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen wurde überzeichnet, um eine Einheit der Arbeiterklasse darzustellen. In diesem Kontext stand auch das Gedenken an das Internationale Antifaschistische Komitee.
Das Denkmal wurde zum 15. Jahrestag der Befreiung 1960 in Grünau vor 12.000 Menschen eingeweiht. Es steht an der Haltestelle Hermann-Meyer-Straße in der Nähe der Gartenlaube der Familie Hauke, in der sich Nikolai Rumjanzew und Boris Losinski auch eine Zeit lang versteckt hielten. Auf dem Denkmal befindet sich unter der Abbildung der Fahne der Sowjetunion folgende Inschrift:
1942-1944
Sowjetische und Deutsche Kommunisten leiteten von hier aus den Widerstandskampf gegen den Faschismus
N.W.Rumjanzew
B.W.Lossinsky
T.N.Tonkonog
Sie opferten ihr Leben für die Befreiung
An der Einweihung nahmen die Mutter von Taissija Tonkonog, die Ehefrauen von Boris Losinski und Nikolai Rumjanzew und die Tochter von Nikolai Rumjanzew teil. Nach den beiden Männern wurden in der DDR Straßen, Arbeitsbrigaden und Schulen benannt. Bis heute gibt es die Nikolai-Rumjanzew-Straße in Kleinzschocher direkt am Denkmal. Sie wurde am 7. Oktober 1959, dem 20. Jahrestag der DDR umbenannt. Der Losinskiweg existiert auch heute noch in Schönefeld unweit des ehemaligen Geländes der Hugo Schneider AG, bei der beide während ihrer Illegalität gearbeitet haben sollen. Nach Taissija Tonkonog ist keine Straße benannt worden.
Inessa Jankowskaja, eine Jugend-Freundin von Taissija Tonkonog, die ebenso als Zwangsarbeiterin nach Leipzig verschleppt wurde, besuchte 1962 Leipzig, um, wie sie sagte, „die guten Deutschen [zu] besuchen“. Ein Zeitungsartikel aus der DDR schreibt zu diesem Besuch und den Lebens- und Arbeitsbedingungen der beiden Ostarbeiterinnen.