Station 03 – Klostergasse 9: Der Arbeiterbildungsverein

 

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In diesem altehrwürdigen Gebäude, in dem einst Napoleon Bonaparte, Frederic Chopin und angeblich auch Mozart logiert hatten, spielten sich in den 1860er Jahren entscheidende Entwicklungen im Arbeiterbildungswesen ab. In diesem Gebäude, das damals als “Hotel de Saxe” ein wichtiges Versammlungslokal in Leipzig war, konnten Arbeiter*innen in wöchentlichen Vorträgen verschiedene politische und wirtschaftliche Entwicklungen und Hintergründe hören. Denn bereits für die frühe, in Entstehung begriffene Arbeiter*innenbewegung war die Frage der Bildung zentral: Zur Zeit dieser Ereignisse galt zwar in Sachsen bereits eine allgemeine Schulpflicht, diese galt allerdings lediglich für 8 Jahre und wurde gerade für die ländliche Bevölkerung in der Erntezeit oft vernachlässigt. Hierdurch hatten viele Arbeiter*innen einen eher geringen Bildungsgrad, ein Umstand, den die Arbeiter*innen bald selbst als Hindernis für ihre Organisierung begreifen sollten.

Die ersten Bildungsangebote für Arbeiter*innen kamen in Leipzig aber nicht aus der Arbeiterklasse selbst, sondern machten tatsächlich liberale Professoren der Leipziger Universität. Diese hofften aufgrund der gescheiterten März Revolution, dass die Arbeiter*innen durch höhere formale Bildung bei den kommenden Auseinandersetzungen mit dem Adel eine Stütze für das Bürgertum sein würden.

So wurde 1861 der Gewerbliche Bildungsverein gegründet, der seinen Sitz im Rosental hatte. Viele Funktionäre der jungen Arbeiter*innenbewegung misstrauten dem Vorhaben der Professoren aber: Schon auf der Gründungsversammlung des „Leipziger Gewerblichen Bildungsvereines“, an der über 500 Arbeiter teilnahmen, war es zu einer kontroversen Debatte gekommen. Eine Opposition um den Gründer des Leipziger Zigarrenarbeitervereins, Friedrich Wilhelm Fritzsche kritisierte die inhaltliche Ausrichtung und Zielsetzung  des Vereins. Ihnen missfiel, dass der Schwerpunkt der Bildungsarbeit auf die Vermittlung elementarer Kenntnisse wie Rechnen und Schreiben liegen sollte, die den Arbeitern in der Volksschule nicht oder nur unzureichend geboten wurde. Dies auszugleichen bzw. zu verbessern, war für Fritzsche und seine Genossen Aufgabe des Staates. Gefordert wurde von diesen etwas anderes als kompensatorischer Unterricht, nämlich politische Bildung. Als solche forderten sie Aufklärung über wirtschaftliche, soziale und politische Themen und die Befähigung der Arbeiter zu selbständigem Denken und politischem Handeln.

Auf der Versammlung fanden sie jedoch keine Mehrheit, nur ein Viertel der Anwesenden stimmte für ihre Position. Zur Mehrheit, die gegen sie votierte, gehörte damals auch der spätere SPD Vorsitzende August Bebel. Dieser hatte die mangelhafte Volksschulbildung am eigenen Leibe erfahren und hielt deshalb  die Entgegensetzung von politisch-emanzipatorischem Inhalt und Allgemeinbildung für falsch.

Aufgrund dieses Konfliktes trat die Opposition aus dem Gewerblichen Bildungsverein aus und gründete hier in der Klostergaße im „Hotel de Saxe“ den Arbeiterverein „Vorwärts“.  Dieser Verein bildete sich politisch fort und und mischte sich tagespolitisch zu allen möglichen Themen ein, so wurde beispielsweise eine Invalidenversicherung für Arbeiter*innen und das allgemeine Stimmrecht bei Landtagswahlen gefordert. Der Verein Vorwärts war später auch Mitglied der ersten Internationale und die Keimzelle für die Führung der SPD.

Im Jahr 1865 schlossen sich der gewerbliche Bildungsverein und der Verein „Vorwärts“ zum „Arbeiterbildungsverein zu Leipzig“ zusammen und fand in der Ritterstraße sein Vereinslokal.

Die Arbeiterbildungsvereine konnten gut ein Jahrzehnt lang wirken und wichtige Bildungsarbeit leisten. Denn 1878 wurde der Verein aufgrund der Sozialistengesetze, die Reichskanzler Otto von Bismarck vorangetrieben hatte, verboten. Die Vermögensgegenstände, die Bücherei und die Kasse wurden beschlagnahmt.

Nach dem Ende der Sozialistengesetze formierten sich neue Bildungsvereine und bis heute ist das Schulungswesen ein wesentliches Element der linken Parteien und Gewerkschaften.

Adrian Weiss