Station 05 – Felsenkeller: Zu Gast in Rosas Salon

 

Klicken Sie auf den Button um das Abspielen von Soundcloud zu genehmigen.

Audio laden

 

Auch mehr als 100 Jahre nach ihrem gewaltsamen Ende gehören Leben und Werk von Rosa Luxemburg zum unverzichtbaren marxistischen Erbe für die heutigen Generationen. Dazu zählen vor allem ihre hochaktuellen Überlegungen zum untrennbaren Zusammenhang von Demokratie und Sozialismus, von Freiheit und Gleichheit sowie von Selbstbestimmung und Solidarität.

Mit Leipzig war Rosa Luxemburg auf vielfältige Weise verbunden. Hier erschien 1898 ihre Dissertation in einem bekannten Wissenschaftsverlag. Im gleichen Jahr begann ihre bis 1913 andauernde Publikationstätigkeit für die Leipziger Volkszeitung, in der sie in mindestes 171 Ausgaben ihre Texte veröffentlichte. Als ihr 1902 die Chefredaktion des Blattes angetragen wurde, schlug sie das Angebot aber aus. Nachweislich besuchte sie die Messestadt insgesamt 14mal und hielt hier mindestens sieben Reden; der letzte Auftritt am 6. Juli 1916 – eine illegale Verrammlung in Kasslers Festsälen in Volkmarsdorf – trug ihr eine Verurteilung zu sechs Wochen Gefängnis ein.

Ihre Reden fanden stets in traditionsreichen Versammlungsstätten der Leipziger Arbeiter*nnenbewegung wie dem Volkshaus, dem nicht mehr erhaltenen Pantheon in der Dresdner Straße oder dem Felsenkeller statt. Als charismatische Revolutionärin und Vorkämpferin auf dem linken Flügel der SPD vor dem Ersten Weltkrieg erreichte Rosa Luxemburg stets ein großes Publikum. Das war auch der Fall bei ihrem Auftritt im Felsenkeller, als sie am 27. Mai 1913 ihre berühmte Rede „Die weltpolitische Lage“ hielt.

 

Gebäude mit Geschichte 

Der Felsenkeller ist ein ehemaliges Ballhaus im Leipziger Ortsteil Lindenau und befindet sich auf dem Eckgrundstück Karl-Heine-Straße 32/Zschochersche Straße 14. Das Gebäude, dessen augenscheinlichstes Merkmal der von einer barocken Kuppel gekrönte Eckturm ist, wurde im Jahr 1890 für Brauerei C. W. Naumann im Stil des Neobarock errichtet. Es erhielt seinen Namen nach dem seit 1844 etwas weiter nördlich befindlichen Alten Felsenkeller, der als Bierlager diente. Über dem Keller wurde seinerzeit ein „Etablissement“ errichtet, von dessen Terrasse sich ein schöner Ausblick auf die Elsteraue und die Stadtsilhouette Leipzigs bot.

Der große Festsaal diente über viele Jahre der Leipziger Arbeiter*innenbewegung als Versammlungslokal. Hier sprachen beispielsweise im Jahr 1905 Karl Liebknecht zur russischen Revolution, 1920 Clara Zetkin zu den Aufgaben der KPD bei den bevorstehenden Landtagswahlen und der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann auf Wahlkundgebungen 1926 und 1930 zu den sächsischen Landtagswahlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Felsenkeller ein gesellschaftlicher Ort. Am 23. März 1946 wurde hier die Stadtorganisation der Leipziger FDJ gegründet. Vom 29. bis 31. März 1946 fand ein Bezirksparteitag der Leipziger SPD statt, der die sofortige Vereinigung mit der Leipziger KPD zur SED beschloss.

Zur DDR-Zeit war das Haus ein beliebtes kulturelles Zentrum, ein Versammlungssaal und eine Gaststätte. Hier fanden zahllose Konferenzen und Betriebsveranstaltungen sowie Tanzschulenabschlussbälle, Jugendweihen und Abiturfeiern statt. Damit prägte der Felsenkeller die lokale Identität von mindestens drei Generationen der Leipzigerinnen und Leipzigern. Anfang der 1980er Jahre wurde der Felsenkeller teilweise rekonstruiert, diese Arbeiten waren 1983 abgeschlossen. Nach einer Nutzung als Möbelhaus bis 1999 stand der Felsenkeller einige Jahre leer. Seit 2005 wurde das Gebäude durch den engagierten Eigentümer schrittweise saniert und ist heute wieder fester Bestandteil des soziokulturellen Lebens der Stadt.

Ein Geschenk für Rosa

Am 5. März 2021 wurde anlässlich des 150. Geburtstages von Rosa Luxemburg direkt vor dem Felsenkeller ein Denkzeichen für ihre fulminante Rede vom 27. Mai 1913 eingeweiht. Sie kritisierte in dieser Rede heftig die damalige imperialistische Kriegspolitik und vor allem das internationale Wettrüsten. Im Kampf gegen diese Übel warnte sie zugleich vor jeglichen parlamentarischen Illusionen: „Solange das Kapital herrscht werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören“. Eine friedenspolitische Mahnung, die bis heute von ihrer Aktualität nichts verloren hat. Deshalb steht genau dieser Satz in befestigten Metallbuchstaben auf den Granitplatten, die in das Pflaster des Gehwegs eingelassen sind, Damit gleicht das Denkzeichen einem riesigen Stolperstein im öffentlichen Raum. Das Andenken an Rosa Luxemburg wird im Felsenkeller auch noch mit einer großen Fotowand im Foyer sowie in „Rosas Salon“ gepflegt: eine Freihandbibliothek mit linker Literatur, Luxemburgs gesammelte Werke und Briefe eingeschlossen.

Auf einen besonderen Aspekt des neuen Gedenkortes soll hier noch hingewiesen werden. Vor dem Felsenkeller befindet sich keine „normalen“ Leipziger Kreuzung, sondern ein erlebbarer Kreuzweg der Geschichte. Was passiert, wenn die Vernunft nicht siegt und stattdessen Imperialismus und Reaktion die Oberhand gewinnen, zeigte sich schon ein Jahr nach Rosa Luxemburgs Rede mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Eine Generation später wurde von den Kräften, die am 15. Januar 1919 Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts brutale Ermordung veranlassten, ein zweiter Weltenbrand verursacht. Auch Leipzig geriet in den Strudel dieses Weltkrieges. Der 18. April 1945 war für Leipzig der glückliche Tag der Befreiung von der faschistischen Herrschaft. An diesem Tag wurde genau auf der Kreuzung vor dem Felsenkeller ein Panzer der amerikanischen Befreier abgeschossen. Fünf junge amerikanische Soldaten verloren dabei ihr Leben. Robert Capa hat dieses Geschehen in einem berühmten Foto dokumentiert. Das Bild zeigt hunderte Leipziger, die neugierig und erschrocken zugleich auf den ausgebrannten Panzer schauen. War einer von ihnen 32 Jahre zuvor bei Rosas Rede im Felsenkeller? Wir wissen es nicht. Im September 2020 wurde zum Gedenken an das dramatische Geschehen vom 18. April 1945 ein beeindruckendes Denkzeichen auf der anderen Kreuzungsseite enthüllt. Beide Orte – der Felsenkeller hier und das Mahnmal auf der anderen Straßenseite – korrespondieren miteinander und mahnen gemeinsam zum Frieden.

Dr. Volker Külow