Station 09 – Fichtestraße 28: Die Bundesschule des Arbeiter Turn- und Sportbund

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Leipzig war am Ende des 19. Jahrhunderts eine Hochburg der bürgerlichen Turn- und Sportbewegung. Nichtsdestotrotz entwickelte die Arbeiter*innenbewegung der Stadt in einem Gegenentwurf zum bürgerlichen und elitären Sport eine Vielfalt sportlicher Angebote und schuf sich in Eigeneleistung auch zahlreiche eigene Sportstätten. Die feierliche Eröffnung der Bundesschule des „Arbeiter-Turn- und Sportbundes“ (ATSB) in der Fichtestraße am 19. September 1926 unterstrich die zentrale Bedeutung der Stadt innerhalb der proletarischen Arbeiter*innensportbewegung.

Die Bundesschule in der Leipziger Fichtestraße nahm für den „Arbeiter- Turn- und Sportbund“, der damals circa 650.000 Mitglieder umfasste, eine wesentliche Bedeutung ein. Zwischen 1926 und 1933 wurden hier verschiedene Lehrgäng für Leichtathletik, Schwimmwarte, das Fußballspiel, Kinderturnwarte, Männer- und Frauenturnen oder Jugendleiter aus der Arbeiter*innensportbewegung des Kaiserreichs angeboten. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 23 und 24 Jahren, ca. 75% waren männlich. Ihnen wurden die Fahrtkosten erstattet, sie konnten während der meist zweiwöchigen Kurse in der Schule wohnen und wurden zudem verpflegt. Teilweise wurde sogar der durch die Weiterbildung entstandene Lohnausfall der Arbeiter*innen vom ATSB übernommen. Hier befand sich auch der Arbeiter-Turnverlag, eine Schulbücherei und ein Filmverleih mit Lehrfilmen zu Leibesübungen und Arbeitersportveranstaltungen.

Der damalige Geschäftsführer der „Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege“ hebt in der – ebenfalls in der Fichtestraße publizierten – „Arbeiter-Turn-Zeitung“ die Bedeutung der Bundesschule in der Leipziger Fichtestraße für die Arbeiter*innenbewegung und den Arbeiter*innensport hervor. So schreibt er in dem Text „Vorspruch zur Weihe der Arbeiter-Turn- und Sportschule in Leipzig“ unter anderem: „Das deutsche Proletariat vollbrachte eine große Tat: Ein Haus, sein Herz voll Ideale weiht es der Internationale“. Neben der Vermittlung von sportlichen Kompetenzen zählte in der Bundesschule auch die politische Schulung der Mitglieder. Die Bundeschule des ATSB war damit auch einen Gegenentwurf zur preußischen „Deutschen Hochschule für Leibesübungen“, die bürgerlich und national ausgerichtet war.

Die Sozialdemokratie und die Vereine

Um diese Bedeutung des Arbeiter*innensports für die Arbeiter*innenbewegung nachzuvollziehen lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte des Verhältnisses von Vereinskultur und sozialistischen Bewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit entstand unter den Arbeiter*innen eine große Begeisterung für die Organisation in Vereinen. Sie boten – neben Wirtshäusern, Kinos, Kleingärten o.ä. – ein willkommenes Angebot der Ablenkung und Zerstreuung vom oft tristen Arbeitsalltag. Dabei grenzten sich insbesondere die Leipziger*innen sehr bewusst von den bürgerlichen Vereinen – seien es nun Sänger*innen oder Sportler*innen – ab. Und sie ließen bereits frühzeitig auch Frauen in den Kultur- und Sportvereinen zu.

Besondere Bedeutung erhielten die Sport- und Kulturvereine zur Zeit der Sozialistengesetze, da sie letztlich die einzige Möglichkeit einer legalen Vereinstätigkeit – wenn auch nicht politischen Betätigung – boten. auch als legale Ersatzorganisationen der verbotenen Sozialdemokratie genutzt werden.

Eine Massenbewegung wurden die Kultur- und Sportangebote aber erst in der Weimarer Republik, als durch die Einführung des Acht-Stundenltages auch tatsächlich freie Zeit zur Verfügung stand.

Auch, wenn die Parteiführungen letztlich die Anziehungskraft der Vorfeldorganisationen in Kultur und Sport sahen, musste man sich doch eingestehen, dass die Bindungskraft im Arbeiter*innensportverein nie so hoch war wie in der Gewerkschaft oder den Parteien. Dennoch spielten sich zunehmend eine entscheidende Rolle auf dem Weg von der „Wiege bis zur Bahre“, da sie ein Leben innerhalb des sozialistischen Milieus auch mit den unterschiedlichsten Interessen (Fußball, Radfahrer, Motorsport aber auch Naturfreunde, Arbeiterfotograf*innen, Arbeitersänger*innen, Arbeitersamariter*innen etc.) ermöglichten und die Menschen auch politisch banden.

In den 1920er Jahren gab es erneut einen enormen Zuwachs der Vereine und nirgendwo anders entwickelte sich so ein engmaschiges Netz an Arbeiter*innenkultur- und -sportorganisationen wie in Leipzig. So waren hier zum Beispiel etwa 12.000 Sportler*innen in 38 sogenannten Arbeiter-Turn- und Sportvereinen organisiert. Diese Vereine begleiteten Arbeiter*innen, beginnend mit sozialistischen Jugendorganisationen, oft durch das ganze Leben und führten diese nicht selten zu sozialistischen Parteien oder Gewerkschaften. Damit stellte die Vereinskultur ein fast komplettes und lückenloses proletarisches Gegenstück zur bürgerlichen Kultur dar.

Das Ende der Bundesschule und die Nutzung des Gebäudes bis Heute

Bereits kurz nach der Errichtung der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland fand auch die Bundesschule des ATSB in der Leipziger Fichtestraße ihr Ende. Am 23. März 1933 besetzten Mitglieder der SA die Schule, der „Arbeiter- Turn- und Sportbund“ wurde verboten und sein Vermögen beschlagnahmt. Daraufhin übernahm das „Institut für Leibesübungen“ der Universität Leipzig das Bundesschulgebäude, welches am 4. Dezember 1943 bei einem alliierten Bombenangriff schwer beschädigt wurde. Eines der benachbarten Bundeswohnhäuser wurde dabei völlig zerstört.

Bereits kurz nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus 1945 wurden Teile des Bundesschulgebäudes provisorisch wieder genutzt und ab 1951 starteten Instandhaltungsarbeiten die dazu führten, dass das Gebäude im Jahr 1952 äußerlich wiederhergestellt war. Versuche in der DDR, die Arbeiter*innensportbewegung wieder zu beleben, scheiterten allerdings. Am 1. Januar 1953 erhielt die Karl-Marx-Universität die ehemalige Bundesschule des ATSB zurück. Dessen Nachfolgeorganisation, das „Institut für Körpererziehung“ (IfK), bemühte sich daraufhin auf eine Wiederinstandsetzung des Inneren des Gebäudes. Diese baulichen Maßnahmen zogen sich allerdings über viele Jahre. So war erst 1961 der Sportkomplex des Gebäudes wieder instandgesetzt, woraufhin das „Institut für Tropische Landwirtschaft“ der Universität in das Hauptgebäude einzog und dieses bis kurz nach der Wende nutzte. Danach übernahm die „Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur“ (HTWK) das Gebäude bis ins Jahr 2001. Aufgrund von hohem Sanierungsbedarf veräußerte das Land Sachsen das Objekt daraufhin an einen privaten Investor. Dieser baute in die gesamte Anlage einschließlich der Sporteinrichtungen hochwertige Wohnungen und Appartements ein. Auf der Südseite des Hauptgebäudes befinden sich nun Balkone, statt der Gauben sind Dachfenster verbaut worden und der Turmaufbau fehlt. An der Stelle, wo einst die Turnhalle stand, befindet sich nun ein mit Glas überdachter Innenhof.

Daniel Schlüter